Präsenz statt Pressemitteilung: Die Bedeutung von Medienstrategien für Narrative-Change-Kampagnen (von Alice Lanzke)

Gespeichert von Diana Paiva am Di., 27/04/2021
 
Beim Vernetzungstreffen der CLAIM-Allianz hielt Corey Saylor eine wertvolle Keynote zur Bedeutung von Medien für strategische Kommunikation. Alice Lanzke fasst Coreys zentrale Aussagen zusammen, an denen sich nicht zuletzt die Arbeit von ICPAs neuem Media Hub orientiert.

 

Jede erfolgreiche Narrative Change-Kampagne braucht Öffentlichkeit. Und dazu gehören auch heute noch zu großen Teilen klassische Massenmedien. Denn es sind vor allem die Zielgruppen der beweglichen Mitte, die einen nicht unerheblichen Teil ihrer Informationen aus Tageszeitungen, Zeitschriften, dem Fernsehen oder Radio beziehen. Umso wichtiger ist es für Aktivist*innen und Kampagnenmacher*innen, diese in die Planung ihrer strategischen Kommunikation miteinzubeziehen.

Welche zentrale Rolle Medienarbeit in diesem Kontext spielt, hat die Keynote von Corey Saylor beim Vernetzungstreffen der CLAIM-Allianz, das Anfang Oktober in Berlin stattfand, veranschaulicht. Corey ist „Deputy Director of Campaigns“ der US-amerikanischen Organisation „ReThink Media”1 , deren Ansatz auf folgender Überzeugung basiert:

„Bewegungen kommen dort am stärksten zusammen und fesseln die öffentliche Meinung, wo sie sich mit ihrem Publikum treffen – in den Medien.“2

 

Medien und Kommunikation sind also nicht nur wesentlich für Kampagnenarbeit, sondern für den Aufbau von Bewegungen generell. Entsprechend unterstützt „ReThink Media“ Non-Profit-Organisationen durch Medien-Trainings, Evaluationen der öffentlichen Meinung, auch durch Fokusgruppen, sowie Schulungen zur Entwicklung von Botschaftsentwicklung und -kohäsion. Was das – auch und gerade für kleinere Organisationen – bedeutet, verdeutlicht ein von Corey präsentierte Fallbeispiel auf eindrückliche Art und Weise: So wurde „ReThink Media” von einer ihrer Partnerorganisationen kontaktiert. Diese vertrat einen jungen Mann, dessen Mutter im Iran an einer tödlichen Hirnerkrankung litt. Ein US-amerikanischer Chirurg aus Louisville hatte sich bereit erklärt, die lebensrettende Operation kostenlos durchzuführen – allerdings verbot der sogenannte „Muslim Ban“3 damals die Einreise der Frau in die USA. „ReThink Media” überlegte in der Folge, wer angesprochen werden müsste, um eine Ausnahme zu erreichen. „Und das war das Department of State und konkret die Menschen, die dort arbeiteten“, so Corey. Ein klassischer Ansatz hätte eine breite Medienkampagne involviert, um auf die Geschichte aufmerksam zu machen: „Aber dieses Vorgehen hätte nicht unbedingt die Menschen erreicht, die es brauchte.“ Vor allem hätten diese Menschen vermutlich nicht unbedingt auf Aktivist*innen gehört, vielleicht aber auf Journalist*innen.

Entsprechend machte sich „ReThink Media“ daran, die Geschichte in der Lokalzeitung von Louisville zu platzieren: Anders als überregionale Medien war das Interesse hier größer, einen Artikel zu veröffentlichen, da es um das lokale Krankenhaus und einen der dortigen Ärzte ging. Im nächsten Schritt bat „ReThink Media“ seine Partnerorganisationen, den Artikel gezielt an Menschen aus dem Department of State sowie an Reporter*innen, die über das Department berichten, zu tweeten. Tatsächlich gelang es so innerhalb weniger Stunden, breite Aufmerksamkeit für die Geschichte zu erzeugen, die schließlich dazu führte, dass eine Ausnahmegenehmigung für die kranke Frau erteilt wurde.

 

Was dieses Fallbeispiel zeigt, ist eine essentielle Lektion für Aktivist*innen und Kampagnenmacher*innen: Für erfolgreiche strategische Kommunikation ist es wichtig, das Publikum zu kennen. Wer kann dabei helfen, das eigene Ziel zu erreichen, wer kann dieses verhindern, und auf wen würden die beiden Gruppen hören? Was beeinflusst und motiviert diese Gruppen?
Mit Blick auf eine mögliche Medienstrategie müssen bei der Beantwortung dieser Fragen allerdings einige Medien-spezifische Aspekte berücksichtigt werden mit dem Ziel, eine Kampagne durchzuführen, welche die größtmögliche Hebelwirkung entfaltet:
  1. Für den Erfolg vieler Kampagnenanstrengungen ist eine Legitimierung durch Medien immer noch zentral. Bestimmte Zielgruppen lassen sich nicht ansprechen, wenn traditionelle Medien außen vor gelassen werden. Entsprechend wichtig ist es, jene Medien zu Beginn jeder Kampagne mitzudenken und zum geeigneten Zeitpunkt miteinzubinden. Das braucht strategische Planung und Vorbereitung. Erfolgsversprechend ist in diesem Kontext ein Ansatz, der Medien nicht als „Feinde“ der eigenen Sache sieht, sondern vielmehr als bewusste oder unbewusste Verbündete. Im hier vorliegenden Fall verschaffte der Bericht in der Lokalzeitung der gesamten Geschichte Bestätigung und Legitimität, welche ein direkter Aufruf der Aktivist*innen – zumindest für die Zielgruppe der Department of State-Mitarbeiter*innen – nicht bekommen hätte. Jene Bestätigung und Legitimität bauten dann eine Hebelwirkung und letztendlich Druck auf diejenigen Protagonist*innen auf, die für den Erfolg der Kampagne entscheidend waren. Zudem gelang es hier, ein Narrativ in eine Mediengeschichte zu übersetzen, nämlich in den Fall des Arztes („Helden“-Figur), der anbietet, die todkranke Frau kostenlos zu behandeln.
  2. Viele Aktivist*innen zielen mit ihrer Medienstrategie auf eine überregionale Berichterstattung. Doch diese ist zum einen nicht immer möglich und zum anderen vor allem nicht immer nötig, wie das Beispiel von Corey zeigt. Gerade der lokale Rahmen kann für Kampagnenmacher*innen oft viel effektiver sein: Die Lokalzeitung im beschriebenen Beispiel hatte ein aktives Interesse daran, über den Arzt zu berichten, weil er Teil der lokalen Community ist. Entsprechend einfacher war es für die Aktivist*innen, Berichterstattung zu bekommen und über diesen Weg Unterstützung, die ihre Wirkkraft zunächst im lokalen Raum entfaltete.
  3. Die bis hier aufgeführten Punkte bedeuten allerdings nicht, dass erfolgreiche Kampagnen sich hauptsächlich auf traditionelle Medien fokussieren sollten – im Gegenteil: Gerade Coreys Beispiel zeigt, wie wichtig es heutzutage ist, in der eigenen Medienstrategie traditionelle Medien und soziale Medien miteinander verschränkt zu denken und entsprechend zu handeln. Durch den Aufruf des Netzwerks, den Lokalartikel bei Twitter an spezifische Zielpersonen zu tweeten (Menschen aus dem Department of State sowie Reporter*innen, die über das Department berichten) erhielt das Thema eine wesentlich stärker gerichtete Resonanz, die letztendlich zum Erfolg der Aktivist*innen führte.

 

Alles in allem zeigen das Beispiel von Corey Saylor und die Lehren, die wir daraus ziehen können, dass nicht nur Kampagnenplanung insgesamt, sondern auch die Medienstrategie(n) innerhalb dieser Planung frühzeitig und intensiv miteinbezogen werden müssen. Es geht in der Medienstrategie nicht darum, eine besonders gelungene Pressemitteilung zu verfassen oder als Thema in der „Tagesschau“ vorzukommen. Vielmehr muss es gelingen, die eigene(n) Botschaft(en) in jenen Medien unterzubringen, welche von den Menschen konsumiert werden, die für den Erfolg einer Kampagne entscheidend sind – auf diese Weise erzeugt die Medienstrategie eine Hebelwirkung für das gesamte Kampagnenziel.

Die Botschaft, die dabei in die Medien getragen werden, müssen nicht unbedingt Botschaften sein, die für Aktivist*innen selbst am überzeugendsten sind – so lange sie immer noch zu den eigenen Werten passen. In Coreys Beispiel war das einfach, da die Botschaft den Wert der Menschlichkeit berührte und damit einen Wert, auf den sich vermutlich die meisten Menschen einigen können. Doch das ist nicht bei allen Kampagnen der Fall. Darüber hinaus, betont Corey, würden politische Siege selten von einer einzelnen Person oder Organisation errungen, sondern durch den Zusammenschluss vieler verschiedener Gruppen, mit anderen Worten: durch den Aufbau einer Bewegung.

 

Weniger Botschaften, mehr Berichterstattung

In eben solchen Bewegungen ist indes zentral, ein kohärentes Narrativ oder einen einheitlichen „Messaging Moment“ zu entwickeln, der über die Medien transportiert werden kann. „Es geht nicht um ein Fernsehinterview – es geht darum, ein Narrativ aufzubauen, das von vielen Menschen auf viele unterschiedliche Weisen wahrgenommen wird“, erläutert Corey in seinem zweiten Fallbeispiel: Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten hatte damals zu entscheiden, ob die Einsetzung des „Muslim Ban“ rechtens war – in der Folge gab es regelmäßige Demonstrationen unterschiedlichster Gruppen und Aktivist*innen vor dem Gebäude. Wie Corey allerdings beobachtete habe es dabei zunächst ein Durcheinander von Plakaten und Botschaften gegeben. Jene Konfusion habe sich direkt in der Medienberichterstattung niedergeschlagen. So berichtet Corey, dass die Medienanalyse von „ReThink Media“ im Nachgang neun verschiedene Botschaften ergab, über die berichtet wurde. All jene Botschaften seien zwar wichtig und richtig gewesen, hätten in der Summe aber kein kohärentes und vor allem schlagkräftiges Moment erzeugt – und dies vor allem angesichts der Tatsache, dass sich die Befürworter*innen des „Muslim Ban“ auf wenige Botschaften konzentrierten, die in der Folge umso effektiver wirkten und von den Medien stärker aufgegriffen wurden.

Kundgebung
Kundgebung am 29. Januar 2017 vor dem Weißen Haus gegen den „Muslim-Ban“ (Foto: Amy J. Pratt, Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0)

 

Diese Erfahrung machte „ReThink Media“ klar, dass eine Koalition unterschiedlicher Organisationen nötig ist mit unterschiedlichen Interessen, die trotzdem ein gemeinsames Narrativ vertreten, das sich in Mediengeschichten übersetzen lässt. Denn, so Corey, bei Medien-Konsument*innen komme ein Narrativ an. Um also nachhaltig Präsenz und Stärke zu erreichen, sei Disziplin in der Botschaftsverbreitung nötig.

Über die kommenden Monate führte Corey entsprechend dutzende Gespräche mit Aktivist*innen, um alle auf die gleiche „Messaging Seite“ zu bringen – mit Erfolg: Bei einer erneuten Demonstration vor dem Supreme Court, aber auch an vielen Flughäfen des Landes und vor dem Weißen Haus dominierten die Forderungen der Aktivist*innen die Medienberichterstattung und damit die öffentliche Diskussion, in dem die Zahl der verschiedenen Botschaften auf vier reduziert wurde.

SCOTUS sentiment

Zur Erklärung: Das Diagramm bildet die Stimmung in den Medienzitaten zu zwei Schlüsselmomenten im Messaging rund um den „Muslim Ban“ ab, als dieser vor dem Obersten Gerichtshof der USA (SCOTUS oder Supreme Court of the United States) verhandelt wurde. Grundlage dieser Medienzitate waren Interviews mit auf der einen Seite Personen von Organisationen, mit denen „ReThink Media” zusammenarbeitet, und auf der anderen Seite Vertreter*innen der Trump-Administration.

Die grüne Linie kennzeichnet positive Zitate, welche die Position von „ReThink Media” und dem Netzwerk unterstützten, also so etwas sagten wie „Der ‚Muslim Ban‘ ist schlecht“. Die rote Linie drückt negative Zitate aus, in denen jemand den „Muslim Ban“ unterstützt oder etwas Islamophobes sagt.

Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Supreme Court übertrafen die negativen die positiven Zitate (links). Rund um die Gerichtsentscheidung gelang der Seite von „ReThink Media” allerdings ein weitaus einheitlicheres Messaging (rechts), was einen Sieg im Kommunikationskampf bedeutete.

 

Am Ende erklärte der Gerichtshof am 26. Juni 2018 den „Muslim Ban“ zwar für rechtens; allerdings hatte sich das Narrativ der Aktivist*innen dennoch erfolgreich durchgesetzt: Selbst die Gegner*innen des Protests sprachen in der Folge immer wieder davon, dass es sich „NICHT um einen Muslim Ban“ handele – und benutzten auf diese Weise genau den Begriff, den sie aufgrund seiner abschreckenden Wirkung vermeiden wollten. Als US-Demokrat Joseph Biden Trump ablöste, kippte er das Dekret an seinem ersten Tag im Amt. Natürlich lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, was Biden dazu bewegte, aber dass das einer seiner ersten Schritte, ist vielleicht auch ein Ergebnis der gewonnenen Medienpräsenz der Aktivist*innen, die gegen den „Muslim Ban“ gekämpft und somit unter Beweis gestellt hatten, dass „coherance leads to coverage“, Kohärenz also zu Berichterstattung führt.

 

Auch Coreys zweites Fallbeispiel enthält wichtige Hinweise für eine effektive Medienstrategie, die in die gesamte Kampagnenplanung eingebettet ist. Besonders zentral ist die Erkenntnis, dass wesentliche Kampagnenziele vielleicht verfehlt werden (hier: das Urteil des Supreme Court), der Medienzyklus oder Medienfokus aber dennoch gewonnen wurde (hier: kohärente Botschaften und Wording zum „Muslim Ban“). Das zeigt, wie bedeutend es ist, ultimative Präsenz in den Medien aufzubauen und das auf lange Sicht. Es reicht nicht, für einen Tag die Schlagzeilen zu beherrschen, ein wirkmächtiges Foto auf die Titelseite zu bringen oder aber eine eloquente Interviewpartnerin in einer reichweitenträchtigen Sendung zu platzieren: Eine effektive Medienstrategie ist ebenso wie strategische Kommunikation insgesamt ein Marathon und kein Sprint.
Der lange Atem, den man dafür braucht, zeigt auch, wie wichtig der Aufbau einer Koalition verschiedener Partner*innen mit dem Ziel einer gemeinsamen Bewegung ist. Diese Partner*innen können verschiedene Botschaften verbreiten, so lange diese zum gemeinsamen Narrativ passen. Um den öffentlichen Diskurs wirksam zu beeinflussen, darf die Zahl der Botschaften nicht zu unübersichtlich werden, denn das verringert die Chance auf eine entsprechende Medienberichterstattung. Zudem bringen unterschiedliche Partner*innen unterschiedliche Expertisen und oft auch unterschiedliche Medienkontakte ein, die alle zu Puzzleteilen eines erfolgreichen Ganzen werden können.

 

Klar ist dabei, dass der Aufbau einer solchen Bewegung Vorbereitung und Zeit braucht. Vor allem aber, so Corey, sollten sich Aktivist*innen vor Augen halten, dass sich Kommunikation nicht im Schreiben einer Pressemitteilung erschöpfe. Vielmehr sei Kommunikation ein „bewusst gestaltetes Narrativ, welches das Publikum berücksichtigt, das man erreichen muss“. Zentral sei dabei, was dieses Publikum bewegt, nicht was einen selbst bewegen würde. Zum anderen bedeute Kommunikation, auf Menschen zuzugehen und eine Bewegung um ein politisches Ziel aufzubauen, selbst wenn man dabei nicht zu 100 Prozent übereinstimme.

 

Zentrale Lehren

Was Coreys Keynote so wertvoll für die Arbeit von ICPA, aber auch für Aktivist*innen und Kampagnenmacher*innen generell macht, sind die zentralen Empfehlungen, die daraus für die eigene Medienarbeit gezogen werden können4 : Kennt Euer Publikum und baut ein vielfältiges Netzwerk mit einer effektiven (aber nicht restriktiven) Disziplin in der Botschaftsverbreitung auf. Vor allem aber macht Euch bewusst, dass das Gewinnen des narrativen sowie des medialen Raumes langfristiges Engagement braucht – bleibt also hartnäckig und ausdauernd!

 

 

Über die Autorin:

Alice ist freie Journalistin, die seit 2005 in den Medien arbeitet. Darüber hinaus engagiert sie sich bei verschiedenen NGOs, zuletzt und bis heute bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen als Trainerin, Lektorin und Beraterin. Alice war von Anfang an Teil des Narrative Change Labs und leitet jetzt den Media Hub des ICPA-Inkubators für Strategische Kommunikation, der das RESET-Projekt unterstützt.