Kreative Entwicklung von Kampagneninhalten: Herausforderungen & Lösungen (von Nadia Wernli)
Bereits im Dezember 2017 fand der erste Workshop des Narrative Change Lab mit dem Ziel statt, die Migrationsdebatte in Deutschland neu zu gestalten. Seitdem arbeitete JUMA mit ICPA zusammen, um die Strategie für die Kampagne „gemeinsam menschlich“ zu entwickeln, zu verfeinern und schließlich umzusetzen, die schließlich Ende 2019 an den Start ging.
Nachdem die Finanzierung sichergestellt und der Zeitplan festgelegt war, wurde das Team zur kreativen Entwicklung, bestehend aus Karim El-Helaifi und mir, mit der Übersetzung der Ideen und Werte von „gemeinsam menschlich“-Strategie in Bildformate, die bei unserer Zielgruppe Anklang finden würden: „Wirtschaftspragmatiker*innen“ aus der beweglichen Mitte in Deutschland.
Im Folgenden werde ich die zwei Hauptherausforderungen, die wir bewältigen mussten, und zwei Ratschläge teilen, die auf unserem Produktionsprozess basieren.
Herausforderung 1: Auswahl der richtigen Kreativen
Wir hatten von Anfang an ein klares Gespür dafür, welches Gefühl die Poster und Videos vermitteln sollten: warm, einfühlsam und echt. Im Gegensatz zu dem traditionellen, nicht emotionalen Dokumentarstil, der sich normalerweise auf die detaillierte Darstellung von Ereignissen konzentriert, suchten wir nach Videografen und Fotografen, die die aufrichtigen Emotionen von Menschen einfangen, die an einer gemeinsamen Aktivität beteiligt sind. Solche Kreative sind nicht leicht zu finden, daher haben wir Zeit damit verbracht, Portfolios anzuschauen und Optionen zu diskutieren.
Am Ende stellten wir fest, dass Kreative, die im Bereich der Veranstaltungsdokumentation (z. B. Hochzeiten, Konferenzen) arbeiten, den emotional intelligenten Ansatz besser beherrschten als Kreative, die sich auf Nachrichten und Berichterstattung sowie Naturdokumentation spezialisiert haben.
Herausforderung 2: Wenn die Realität mit der Strategie kollidiert
Das Erreichen der beweglichen Mitte erfordert einen bestimmten Ansatz, daher ist es besonders wichtig, an der Strategie festzuhalten, wie Karim in seinem Beitrag beschreibt. Dies kann während der kreativen Entwicklung besonders herausfordernd sein, da die Strategie manchmal mit der Ästhetik des Inhalts in Konflikt zu geraten scheint.
Als wir mit der Auswahl der Protagonisten begannen, stellten wir fest, dass einige Protagonisten auf dem Papier perfekt sind, was Beruf und Werte betrifft, die zur Strategie passen, aber es war sehr schwierig, sie auf Postern darzustellen. Wir untersuchten zum Beispiel, wie man eine faszinierende Frau darstellt, die Poetry Slam macht, stellten aber fest, dass Bilder von ihr auf einer Bühne stehend, zu allgemein und offen für Interpretationen sind. Wir mussten auch hart mit einer unserer ausgewählten Protagonist*innen – Nariman, der Soldatin – arbeiten, um den beruflichen Aspekt ihres Lebens darzustellen. Ein Großteil ihrer Arbeit beinhaltet Papierkram im Büro, was nicht zu interessanten Bildern geführt hätte. Deshalb haben wir mit Nariman zusammengearbeitet, um andere reale Aktivitäten in ihrem Job zu identifizieren, die in Fotos und Videos besser zur Geltung kommen.
Eine weitere Herausforderung während der Produktion war die Umsetzung unseres Konzepts, dass Protagonist*innen zusammen mit ihren Kolleg*innen in ihrer natürlichen Umgebung, vorzugsweise im Freien, dargestellt werden sollten, um zu betonen, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind. Dies war wichtig für unsere Strategie, aber die Kreativen wollten die Protagonist*innen oft allein in Porträts und in künstlichen Umgebungen zeigen, die „gut aussehen“. Wir mussten daran arbeiten, das Gespräch von reiner Ästhetik zu Strategie mit Ästhetik zu bewegen.
Ich habe viel aus diesem Prozess gelernt, habe also einige Lösungen für die Herausforderungen, von denen ich hoffe, dass sie anderen als Tipp dienen können:
Tipp 1: Lernen, wann Ihr Kompromisse eingehen müsst und wann nicht
Wenn Ihr mit Kreativen arbeitet, die normalerweise nicht an der Entwicklung der Kampagnenstrategie beteiligt waren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie die Dinge auf herkömmliche Weise erledigen möchten. Etwas Neues auszuprobieren, sieht möglicherweise nicht immer ästhetisch gut aus, weshalb Kreative das Risiko möglicherweise nur ungern eingehen, insbesondere wenn ihr Ruf auf dem Spiel steht. Wie traditionelle Medien sind Kreative es gewohnt, sich auf das „Drama“ zu konzentrieren, und daher ist es für sie ein sehr neues Konzept, die Geschichte des gewöhnlichen Lebens auf eine Weise zu erzählen, die die Werte und Emotionen der Mitte einbezieht.
Daher ist es wichtig, dass Ihr wisst, wo Ihr die Grenze ziehen müsst. So einigten wir uns zum Beispiel darauf, die Protagonist*innen und ihre Kolleg*innen wegen der Klangqualität in Innenräumen zu interviewen, bestanden aber darauf, die Fotos für die Poster im Freien zu schießen, wobei immer mindestens zwei Personen miteinander interagierten. Als wir während des Bearbeitungsprozesses Feedback gaben und die Kampagnenstrategie erneut überprüften, entschieden wir uns auch dafür, die „dramatischen Teile“, die Diskriminierung und Ausgrenzung betonen, in den Hintegrund zu stellen und uns stattdessen auf die Werte zu konzentrieren, die uns verbinden.
Tipp 2: Wenn möglich, lasst Euch von Kreativ- und Designfachleuten beraten
Wenn man mit Kreativen zusammenarbeitet, kann man sich durch das begrenzte Wissen und die Erfahrung auf diesem Gebiet gehemmt fühlen. Hier ist es hilfreich, Rat von anderen Kreativen zu erhalten, die auch den Narrative-Change-Ansatz verstehen. Während der Filmaufnahmen würden die Kreativen eine Abweichung von der Kampagnenstrategie mit der Begründung rechtfertigen, dass „dies nicht anders möglich ist“. Da ich im Design arbeite, konnte ich feststellen, dass dies manchmal eher auf Risikominimierung als auf echte technische Einschränkungen zurückzuführen war. In diesen schwierigen Situationen profitierten wir von den hervorragenden Ratschlägen von Heiko, Filmemacher und Leiter des Creative Hub im ICPA Strategic Communications Incubator, der uns beriet, wie wir auf diese Behauptungen reagieren sollten – um festzustellen, wann sie berechtigt waren und wann wir verhandeln oder die Kreativen vorantreiben konnten, um ein Risiko einzugehen. Wir haben die Ergebnisse dann immer mit Heiko überprüft, um sicherzustellen, dass sowohl Strategie als auch Ästhetik im Einklang sind. Wenn Ihr diese Art von Input während Eures kreativen Entwicklungsprozesses erhalten könnt, würde ich es sehr empfehlen!
Nach zweieinhalb Monaten hatten wir unser Ziel erreicht: 6 Poster und 6 Videos, die eine kurze und lange Version der Geschichte jeder*jedes Protagonistin*Protagonisten bieten. Wir waren begeistert von den positiven Ergebnissen der Swayable- und Facebook A/B-Tests. Die Ergebnisse zeigten, dass dieser neue Ansatz funktioniert und von mehr Kampagnenmacher*innen in der Migrationsdebatte übernommen werden könnte. Es war eine so reiche Erfahrung mit so vielen Lektionen und Ideen, auf denen wir für zukünftige Kampagnen aufbauen können. Wir konnten unsere Erfahrungen bereits mit einem Kampagnenteam aus Kasachstan teilen und freuen uns darauf, mit weiteren Kampagnenmacher*innen zusammenzuarbeiten, um die Migrationsdebatte neu zu gestalten.
Über die Autorin:
Nadia Wernli ist eine freiberufliche Multimedia-Designerin und Aktivistin, die sich besonders dafür interessiert, Organisationen für sozialen Wandel bei ihren Veranstaltungen und Design-Arbeiten zu unterstützen, sowohl konzeptionell als auch visuell. Zum Zeitpunkt des Narrative Change Labs war Nadia ein Mitglied von JUMA und leitete (gemeinsam mit Karim El-Helaifi) die kreative Entwicklung von JUMAs „Gemeinsam menschlich“-Kampagne. Sie gehört zu den Narrative Change Associates, die vom ICPA darin geschult wurden, den Ansatz weiter zu verbreiten.