Vier Lektionen, die ich aus der Umsetzung der JUMA-Kampagne lernte (von Karim El-Helaifi)
2019 startete JUMA e.V. die Kampagne "gemeinsam menschlich". Nachdem ich die Entwicklung der Kampagne im Narrative Change Lab unterstützt hatte, schloss ich mich dem Team für die Durchführung der Kampagne an und konzentrierte mich auf die kreative Entwicklung der Inhalte. Hier teile ich 4 Lektionen, die ich aus dieser Erfahrung gelernt habe.
Hintergrund: Über die Kampagne
Die Kampagne "gemeinsam menschlich" lief vom 26. November bis 7. Dezember 2019. Sie zielte darauf ab, ein Publikum in der "beweglichen Mitte" der Migrationsdebatte in Berlin, Stuttgart und Leipzig zu erreichen. Konkret ging es darum, "Wirtschaftspragmatiker*innen" zu erreichen, die glauben, dass Migrant*innen einen nützlichen wirtschaftlichen Beitrag in Deutschland leisten, aber dem Islam und den Muslim*innen kritisch gegenüberstehen (siehe Studie von More in Common). JUMA wollte die positiven Aspekte ihrer Meinungen über Migration und Muslime verstärken oder 'aufdrehen' und ihre Ängste gegenüber dem Islam 'herunterdrehen' oder reduzieren. Ziel war es, den narrativen Raum für neue Geschichten zu öffnen, als ergänzende Taktik zu JUMAs wichtiger Empowerment-Arbeit.
Die Kampagne befasste sich mit der Tatsache, dass öffentliche Debatten, die durch extremistische Positionen angeheizt werden, das Bild unserer Gesellschaft verzerren. Sie konzentrieren sich oft auf die Unterschiede zwischen den Menschen. Aber eigentlich teilen wir mehr als das, was uns trennt: Werte, Erfahrungen und Emotionen, als Freunde, Nachbar*innen und Arbeitskolleg*innen. Die Kampagne vermittelte diese Botschaft der „gemeinsamen Menschlichkeit“ durch einen „show not tell“-Ansatz, indem sie die Geschichten der 3 Protagonist*innen Säli, Ali und Nariman teilte. Sie umfasste 12 kreative Social-Media-Inhalte und Straßenplakate in Berlin, Stuttgart und Leipzig.
Lektion 1: Bleibt Eurer Strategie treu!
Während der Strategieentwicklung durchlief JUMA den herausfordernden Prozess, die gemeinsamen Werte zwischen ihnen und der Zielgruppe zu finden. Die daraus resultierende Wertekarte wurde entscheidend. Sie war die Grundlage für alle Entscheidungen, die nach diesem Punkt getroffen wurden. Als kreatives Entwicklungsteam haben Nadia Wernli und ich diese ständig reflektiert und die Karte als Leitfaden für die Auswahl der Poster und Filme verwendet.
Während der Erstellung der Kampagneninhalte trefft Ihr Hunderte von kleinen Entscheidungen über Formulierung, Design, Ästhetik und Interviews. Es ist immer verlockend, die Zielgruppe aus den Augen zu verlieren und das umzusetzen, was man (persönlich) gut findet. Nadia und ich mussten uns immer wieder in die Rolle von „Wirtschaftspragmatiker*innen“ versetzen und potenzielle negative Trigger identifizieren. Am Ende zahlte sich das aus: Sowohl beim Testen als auch bei der Kampagnendurchführung gab es sehr wenige negative Gegenreaktionen, selbst von einem herausfordernden Publikum. Das mittlere Publikum änderte seine Meinung in eine positive Richtung. Es hat sich gelohnt, der Strategie treu zu bleiben!
Lektion 2: Der Botschafter ist genauso wichtig wie die Botschaft!
Die Protagonist*innen der Kampagne sind ihre Botschafter*innen. Daher ist die Auswahl der Protagonist*innen äußerst wichtig. Man muss Zeit darauf verwenden.
Wir haben mit der Wertekarte begonnen und Ideen für Protagonist*innen gesammelt, die diese Werte unserer Zielgruppe authentisch vermitteln können. Potenzielle Protagonist*innen wurden dann im Detail betrachtet: welche Werte sie verkörpern, welche „gemeinsam menschlichen“ Momente sie in ihrem Alltag haben und mit welchen visuellen Mitteln sie dies vermitteln können. Wir diskutierten, ob es genügend Vielfalt und gleichzeitig einen roten Faden gibt, der sich zwischen ihren Geschichten spannen lässt.
Nachdem wir uns für Nariman, Ali und Säli entschieden hatten, führten wir mit jeder/-m von ihnen zweistündige Vorgespräche. So konnten wir prüfen, ob sie tatsächlich gut zusammenpassen und mögliche Plakatmotive und Filmszenen planen. Dieser Prozess ist auf den ersten Blick langwierig und komplex, aber er hat uns die Arbeit während der Dreharbeiten und Shootings ungemein erleichtert.
Lektion 3: Traut nicht Euren Instinkten!
Ich habe bereits erwähnt, dass wir uns in die Lage der Zielgruppe versetzen müssen. Das ist wesentlich! Aber Tatsache ist, dass ich nicht zur Zielgruppe gehöre und deshalb vielleicht mit meinen Annahmen falsch liege. Dieses Dilemma kann nur durch ein einziges Instrument gelöst werden: durch ständiges Testen der Kampagneninhalte!
Der Wert von Tests vor, während und nach der Erstellung der Kampagneninhalte ist für mich eine wichtige Lektion. Wir nutzten Fokusgruppen, A/B-Tests und eine Plattform namens Swayable, um das Konzept der Kampagne, den Entwürfe für Inhalte und die Inhalte kurz vor dem Abschluss zu testen. Das half uns, Auslöser (Trigger) für negative Frames zu identifizieren, unsere Botschaften anzupassen und die Wellen der Kampagne zu planen. Positive Ergebnisse von Swayable, die eine 12%ige positive Meinungsverschiebung in der Mitte aufgrund einiger unserer Videos zeigten, gaben uns einige Wochen vor dem Start der Kampagne auch einen dringend benötigten Schub an Selbstbewusstsein!
Natürlich kostet das Testen Geld, aber es ist es wert. Für mich sollte jeder Finanzierungsantrag für eine Kampagne genügend Budget für Tests enthalten. Wenn Ihr nicht über die Mittel für umfassende Tests verfügt, könnt Ihr die Kampagneninhalte informell potenziellen Mitgliedern der Zielgruppe zeigen. Wie viele Praktiker*innen sagen: Jeder Test ist besser als kein Test!
Lektion 4: Kommunikation ist genauso wichtig wie die Inhalte!
Sobald die Kampagneninhalte erstellt und getestet wurde, könnt Ihr Euch nicht einfach zurücklehnen und entspannen. Die eigentliche Kampagnenarbeit ist erst am Anfang. Die Kommunikation der Inhalte ist ebenso wichtig wie die Botschaften, Plakate und Filme selbst. Inhalte von höchster Qualität werden nur dann die gewünschte Wirkung erzielen, wenn sie die Zielgruppe erreichen.
Um dies zu erreichen, bedarf es einer sorgfältigen Planung und Vorbereitung: Auswahl der Kommunikationskanäle und Medien, Entwicklung von Beziehungen zu Medien und Botschafter*innen und Vorbereitung von Gesprächspunkten. Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren, sodass man auf den besten und schlimmsten Fall vorbereitet sein muss. Ihr möchtet Eure Stimme on- und offline einsetzen, um die Dynamik der Kampagne zu stärken. Das JUMA-Team hatte 2019 nur begrenzte Kapazitäten, daher haben wir beschlossen, uns in dieser Runde der Kampagne mehr auf die Entwicklung qualitativ hochwertiger Inhalte als auf Medienpartnerschaften zu konzentrieren. Das bedeutete, dass wir keine Medienberichterstattung erhielten und unsere Reichweite der Kampagne begrenzt war. Das ist definitiv etwas, das wir für das nächste Mal verbessern möchten.
Wir freuen uns, dass unsere Testkampagne zeigen konnte, dass der Ansatz des Narrative Change in Deutschland funktioniert und dass auch kleinere Organisationen wie JUMA eine Rolle bei der Öffnung des narrativen Raums in öffentlichen Diskursen spielen können. Ich würde es begrüßen, wenn diese Arbeit auf einen größeren Maßstab gehoben und mit einer langfristigen Perspektive in größere Netzwerke eingebettet werden würde.
Über den Autor:
Karim El-Helaifi ist Aktivist, Sprecher und Autor. Er ist Vorstandsvorsitzender und Sprecher der „neuen deutschen organisationen“1 , eines deutschlandweiten Netzwerks von 120 Organisationen und initiativen von People of Color und Schwarzen Menschen, die sich für Vielfalt und gegen Rassismus engagieren. Zudem ist er Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender der Schülerpaten2 . Im Narrative Change Lab hat Karim die Entwicklung der „gemeinsam menschlich“-Kampagne3 von JUMA unterstützt und war dann für die kreative Umsetzung verantwortlich. Er arbeitet nun mit ICPA im Projekt „RESET: Neue Strategische Kommunikation zur Neusetzung des Islam-Narrativs in Deutschland“4 , in dessen Rahmen Aktivist*innen geholfen wird, ihre Fähigkeiten in diesem Bereich zu entwickeln.