3.3.1 Techniken und Ansätze zur Vorbereitung des Teams

Auf dieser Seite bauen wir nun auf den drei im vorherigen Abschnitt skizzierten Prinzipien auf und geben praktische Ratschläge, wie Ihr diese Prinzipien darauf anwenden könnt, Euer Team auf die anspruchsvollen Diskussionen rund um die Kampagnenumsetzung vorzubereiten. Es ist ziemlich einfach, über Offenheit, Höflichkeit und Engagement zu sprechen, aber es ist eine ganz andere Sache, diese in Eurer Kampagnenarbeit in die Praxis umzusetzen. In diesem Abschnitt werden drei Techniken beschrieben, die Eurem Kampagnenteam dabei helfen sollen.

 

Methode 1: Beginnt Gespräche mit der gezielten Bereitschaft zur Offenheit.

Wie bei der Vorstellung der Prinzipien erwähnt ist die Grundidee, ein Gespräch zu beginnen, in dem Ihr Fragen stellt, um

  • die Positionen und Gefühle Eures Publikums kennenzulernen,
  • Empathie aufzubauen, 
  • eine gemeinsame Basis zu finden, 
  • aber dennoch Eure eigene Position deutlich zu machen. 

Das mag nach einem schwachen Ansatz klingen, wenn es darum geht, jemanden zu überzeugen, aber in solchen Diskussionen hatten viele Menschen der Mitte nie die Chance, sich mit anderen Perspektiven in einem Gespräch zu beschäftigen, in dem sie gehört werden – entsprechend starke Ergebnisse kann dieser Ansatz erzielen.
 
Eine grundlegende Annahme muss sein, dass Eure mittleren Segmente hörenswert sind und dass sie berechtigte Bedenken in Bezug auf das Thema haben. Zu Beginn der Diskussion versucht man also, „die Gespräche des anderen zu erforschen“1 indem man zuhört, um zu verstehen, aber auch versucht, verstanden zu werden. Ausgehend von Erfahrungen aus der Kampagnen-2  und Verhandlungspraxis3  zeigen wir die folgenden praktischen Techniken, die Ihr einsetzen könnt:

a.     Schafft einen sicheren Platz zum Reden:

  • Seid respektvoll, ruhig und hilfsbereit in der Diskussion.
  • Beginnt, indem Ihr ein gemeinsames Ziel für die Diskussion definiert, aber seid auch authentisch und haltet Eure Position.
  • Legt die Grundlagen für eine inklusive Diskussion.

b.     Hört Euch ihre Geschichten an:

  • Stellt offene Fragen, z.B. „Erzählen Sie mir mehr...“, „Helfen Sie mir zu verstehen...“.
  • Erkennt die Gefühle Eures Publikums an.
  • Bittet sie, ihre Geschichte zu personalisieren, wenn möglich.
  • Wiederholt ihre Worte sinngemäß, um zu verdeutlichen und ihnen zu zeigen, dass Ihr sie versteht.
  • Konzentriert Euch auf Botschaften, die mit „Ich“ beginnen und nicht mit „Du/Sie“ – diese können leicht wie eine Anklage klingen und das Gleichgewicht stören. 

c.     Behaltet Eure Position, um die Debatte zu erweitern:

  • Fügt Eure Ansichten und Positionen mit einem „Ja, und...“-Ansatz hinzu, der darauf abzielt, das Gespräch zu erweitern, anstatt Konflikte zu schüren.
  • Erkennt Eure eigenen Gefühle an.
  • Erzählt relevante persönliche Erfahrungen, um die Diskussion zu vermenschlichen und Eure eigenen Ansichten hinzuzufügen.
  • Bleibt nicht bei den gegnerischen Frames hängen, sondern widersprecht respektvoll und wechselt den Frame.


Solche Vorschriften sind schwer zu befolgen, ohne sie vorher in der Praxis zu sehen. Beginnen wir also damit, ein Beispiel für eine*n Kampagnenmacher*in in dieser Position zu betrachten und zumindest einige dieser Techniken zu übernehmen:

 

FALLBEISPIEL - Tür-zu-Tür-Kampagne des Leadership LAB4

 

Der Fall konzentriert sich auf das Engagement von Bürger*innen: Das Video zeigt einen Aktivisten, der eine potenzielle Wählerin vor ihrer Haustür anspricht. „In diesem Gespräch, das im März 2016 aufgezeichnet wurde, spricht ein Freiwilliger des Leadership LAB mit einer Wählerin in Los Angeles über die Einbeziehung von Transgender-Menschen in die Antidiskriminierungsgesetze... Dies ist eine bearbeitete Version eines längeren Gesprächs. Einige Namen wurden aus Datenschutzgründen stummgeschaltet“5 .


Wenn man sich die Anwendung der oben beschriebenen Techniken ansieht, erkennt man, dass der Kampagnenmacher wirklich eine positive, integrative und ansprechende Atmosphäre schafft und es ihm gelingt, die Meinung der potenziellen Wählerin im Laufe des halbstündigen Gesprächs zu ändern. Der Schlüssel zum Erfolg im Gespräch ist die Fähigkeit, eine Verbindung zwischen ihrer eigenen Erfahrung aufgrund ihres Andersseins schlecht behandelt zu werden, seiner Erfahrung sowie der Erfahrung ihrer Nichte herzustellen, und dann zum Gesetz zurückzukehren. Diese Überschneidung macht die Frau am Ende sogar zur Aktivistin: „Lasst sie sein, wer sie sind!“ – „Lass es raus, Verstecken ist schlimmer.“
 
Weitere Erkenntnisse über den Ansatz lassen sich durch eine Aufteilung des Ansatzes nach den oben beschriebenen Techniken gewinnen:
 
a.      Sicherer Raum zum Reden:

  • Die Atmosphäre ist konstruktiv, offen, unvoreingenommen, mit einer positiven Verstärkung über 95 Prozent des Weges, bis es eine Chance gibt, Einiges zurückzudrängen, aber nur an einem Punkt, an dem der Aktivist weiß, dass bereits eine gute Verbindung hergestellt worden ist.
  • Der Aktivist, der die persönliche Erfahrung, anders behandelt zu werden, mit seiner eigenen Erfahrung verknüpft, ist ein schönes Beispiel für diese Art der Verbindung.

 
b.      Hört Euch ihre Geschichte an:

  • Es gibt viel positive Verstärkung, und selbst, als einige unangenehme Stereotype in den Raum gestellt werden, bleibt der Aktivist positiv.
  • Der Aktivist erkennt ihre Gefühle vollständig an, z.B. „Es tut mir sehr leid, das zu hören.”
  • Er stellt eine große Verbindung zu ihrer persönlichen Geschichte der unterschiedlichen Behandlung und auch zu der ihrer Trans-Nichte her. 
  • Er benutzt „Ich“ durchgehend, bis er sicher ist, dass er sich auf einem eher festen Boden befindet, und erst dann fängt er an, „Sie/Du“ zu benutzen, um schließlich die Stereotypen zu überwinden.


c.      Behaltet Eure Position, um die Debatte zu erweitern:

  • Das Management der eigenen Reizpunkte durch den Aktivisten ist beeindruckend: Er reagiert nicht auf die ziemlich offensiven Stereotypen.
  • Er beginnt sofort, die Nichte als „sie“ zu bezeichnen und setzt somit ein Zeichen.
  • Er verwendet den „Ja, und...“-Ansatz, um seine eigenen Erfahrungen hinzuzufügen – seinen Transgender-Freund und die Tatsache, dass er schwul ist.
  • Das Hinzufügen der persönlichen Erfahrung bildet eine Verbindung zwischen ihnen.
  • Sobald der Aktivist weiß, dass ein gewisses Einfühlungsvermögen vorhanden ist, kann er auf seine ersten Aussagen zum Thema Transsexuelle und insbesondere auf die Diskussion über die vermeintliche Bedrohung durch Transsexuelle für Kinder zurückgreifen und diese Punkte mit Nachdruck aufgreifen.

 

Methode 2: Baut Eure "emotionale Rüstung" auf, um anspruchsvolle Diskussionen zu führen.

Viele auf der progressiven Seite sind den Ansichten der Mitte ausgesetzt, und es kann eine ziemliche Herausforderung sein, sich mit diesen Ansichten zu beschäftigen. Die gute Nachricht ist, dass die Mitglieder der Mitte im Allgemeinen wohlmeinende Menschen sind, die Bedenken haben, mit denen sich Aktivist*innen auseinandersetzen müssen6 . Wenn man jedoch in der Welt der Menschenrechts-Verteidiger*innen aufgewachsen ist, dann können die Sichtweisen der Mitte manchmal schwierig sein und sogar wütende Reaktionen bei progressiven Kräften auslösen. Wenn Ihr diese Wut zulasst, besteht die Gefahr, Euer emotionales Gleichgewicht im Gespräch zu verlieren – dies kann auf verschiedene Weisen zum Vorschein kommen, die im Allgemeinen nicht hilfreich sind: Oft wird die Tür zu einem Gespräch zugemacht, das es Euch sonst ermöglichen würde, sich mit Eurem Publikum empathisch auseinanderzusetzen.
 
Wie könnt Ihr Euch also darauf vorbereiten, derartige große emotionale Schwankungen in der Diskussion zu vermeiden? Dies ist ein Prozess, den wir „Aufbau deiner emotionalen Rüstung“ nennen. Um das klarzustellen: Es bedeutet nicht, seine Gefühle auf nicht-authentische Weise zu diskutieren oder emotional abzuschalten. Vielmehr geht es darum, die Tür nicht schon zu schließen, bevor es eine Chance für einen sinnvollen Austausch gibt.
 
Ein vergleichbarer Vorbereitungsprozess, den wir in diesem Kontext für nützlich halten, ist das Beispiel eines Anwalts bzw. einer Anwältin bei der Vorbereitung eines Zeugen, der mit aggressiven Rückfragen zu seiner Aussage umgehen muss. In der Tat kennt die Anwaltschaft ein Verfahren, das in dieser Hinsicht sehr relevant ist: das des „Abhärtens“ des Zeugen, sodass „der Zeuge nicht zu unkonstruktiven Feindseligkeiten in Rahmen der Aussage neigt“7 .  Dieser Prozess der Zeugenvorbereitung besteht darin, sie mit den Annahmen der Gegner*innen und mit den erwarteten Fragen vertraut zu machen und ihm die Möglichkeit zu geben, das Antworten unter intensivem Druck zu üben. Im Grunde genommen geht es darum, sich mit dem Ansatz und den Standpunkten der Opposition so sehr vertraut zu machen, dass wirklich jeder Input, jede Frage oder Anschuldigung nicht überraschend kommt und daher keine potenziell wenig hilfreichen bzw. über-emotionalen Reaktionen auslösen kann. Es ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass dies nicht bedeutet, kalt oder emotionslos zu sein, sondern vielmehr, dass man die emotionale Kontrolle behält.

Aus praktischer Sicht: Wie könnte man sich abhärten? Oder anders formuliert: Wie bauen Kampagnenmacher*innen emotionale Rüstungen auf, um nicht hilfreiche, emotionale Reaktionen zu vermeiden? Dem juristischen Beispiel folgend ist der vielleicht wichtigste Ausgangspunkt dieses Prozesses, sich mit den Ansichten und Positionen der mittleren Zielgruppen auseinanderzusetzen, zu beobachten und zu lernen, was Eure eigenen Reizpunkte sind! Unsere Workshop-Teilnehmer*innen haben diesen Prozess als schwierig empfunden, aber die folgenden Tipps haben geholfen:

  • Frame Maps kennen, um die verwendeten Argumente im Detail zu verstehen,
  • Umfrageergebnisse kennen, um die Menschen und ihre Positionen besser zu verstehen,
  • Personifizierung der Mitte durch Zuordnung von Namen und Profilbildung für mittlere Segmente,
  • Rollenspiele um die Mitte herum: buchstäblich die Rolle von jemanden aus der Mitte spielen und auch den Prozess der Auseinandersetzung mit der Mitte durchspielen,
  • Beobachtung der Fokusgruppen im Message-Testing – dies kann einer der nützlichsten Prozesse sein, bei denen die Kampagnenteilnehmer*innen die verbalen und nonverbalen Reaktionen der mittleren Segmente auf ihre Kampagnenelemente erleben.

Im Laufe der Zeit und aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, sich den Ansichten der Mitte auszusetzen, haben viele unserer Teilnehmer*innen des Narrative Change Lab festgestellt, dass es für sie wesentlich einfacher geworden ist. Außerhalb der Unterstützungsstruktur eines Labors gibt es andere, offensichtlichere Möglichkeiten, sich mit den Argumenten, der Sprache und den Menschen in der Mitte besser vertraut zu machen:

  • Verwandte, Eltern, Freund*innen oder Menschen, mit denen man auf der Straße spricht, gehören immer in die Mitte; nehmt Euch die Zeit, zuzuhören und sich mit ihnen zu beschäftigen.
  • Lest die Zeitungen der Mitte.
  • Schaut Euch die Fernseh- und Nachrichtensendungen der Mitte an.
  • Bringt Eure Social-Media-Blase zum Platzen und folgt einigen der Meinungsbildner*innen und Medienkanäle der Mitte.

 

Methode 3: Der einzige Weg, diese Ansätze zu erlernen, ist durch Praxis und Feedback – Learning by Doing.

Es ist zwar in der Tat eine Herausforderung, einen verbindlicheren und versöhnlicheren Ansatz mit einem Publikum zu verfolgen, dessen Meinungen die Aktivist*innen oft nicht teilen, aber mit einem gründlichen Vorbereitungsprozess und Praxis wird diese Art der Kommunikation einfacher und effektiver. Man kann diese Techniken genauso erlernen wie das Halten von effektiven Präsentationen oder erfolgreiches Verhandeln, d.h. es ist wirklich etwas, das durch einen Prozess der Praxis, des Feedbacks und der Reflexion trainiert werden kann. Wir verwenden mit den Teilnehmer*innen in unserem Narrative Change Lab viel Zeit darauf. Und die Techniken und Richtlinien, die in diesem Abschnitt beschrieben wurden, zeigen Euch den Weg in die richtige Richtung. Wir ermutigen Euch, Rollenspiele im Team durchzuführen, und wenn sich die Chance ergibt, sich selbst dabei filmen zu lassen und dies anschließend gemeinsam in einem geschützten Rahmen zu besprechen. Beginnt, die Gesprächspunkte für Eure Kampagne zu nutzen, um Euer Rollenspiel aufzubauen, und stellt auch sicher, dass Ihr Euch Zeit nehmt, um die echten Gespräche im Team zu diskutieren, zu dekonstruieren und gemeinsam zu reflektieren, wie es lief.

 

CHECKLISTE FÜR DIE PLANUNG:
Schritt 3.3 - Vorbereitung des Teams
  • Erkennt Euer Team die Notwendigkeit an, in dieser Kampagne einen konstruktiven, dialogorientierten Ansatz zu verfolgen, der auf dem Prinzip der Höflichkeit basiert?
  • Wie werdet Ihr Euer Team den Argumenten und Vorurteilen aussetzen, mit denen es in den Kampagnengesprächen konfrontiert wird, und so seine emotionale Rüstung aufbauen?
  • Wie wird das Team diesen dialogorientierten Ansatz beherrschen?

 

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