Schritt 2: Ausbau der Elemente
Der zweite Schritt des Narrative-Change-Planungsprozesses – Ausbau der Elemente – besteht aus acht Elementen. Ausgehend von der im ersten Schritt definierten Strategie für Eure Kampagne geht es nun darum, alle notwendigen Teile einer Narrative-Change-Kampagne aufzubauen, die zusammen eine positive, zugewandte Reaktion in Eurem/n Zielsegment/en auslösen. Dies bildet dann die Grundlage für einen konstruktiven Dialog mit diesen Segmenten.
Im Planungsprozess wird davon ausgegangen, dass Ihr den ersten Schritt des Prozesses bereits abgeschlossen und Euch für eine klare strategische Ausrichtung Eurer Kampagne entschieden habt, die folgendes umfasst:
- eine bzw. mehrere Zielgruppen der Mitte, die Ihr mit der Kampagne erreichen bzw. in die Kampagne einbeziehen wollt
- einen geeigneten Einstiegspunkt, Anlass oder eine passende Debatte für Eure Kampagne
- einen narrativen Raum für Eure Botschaft, der mit dem/den Zielsegment(en) in Resonanz steht und mit dem Ihr, Eure Organisation oder Euer Bündnis leben könnt
- eine Reihe von realistischen Zielen für die Kampagne.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die Elemente des Kampagnenaufbaus, die in diesem Schritt behandelt werden:
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Kampagnenelemente
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Details
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1 | Botschaften | Notiert in einfachen Sätzen die Kernideen, die Ihr in der Kampagne vermitteln wollt. |
2 | Geschichten | Entwickelt Geschichten, um die von Euch angesprochenen Punkte zu veranschaulichen und einen menschlichen Bezug zum Fokus der Kampagne herzustellen. |
3 | Slogans & Hashtags | Entwickelt eine Reihe von kurzen, einprägsamen Sätzen oder Hashtags, die Ihr im gesamten Kampagnenmaterial verwenden könnt. |
4 | Belege | Stellt die wichtigsten Fakten und Daten zusammen, die Ihr zur Unterstützung und Verteidigung Eurer Botschaften benötigt. |
5 | Bildmaterial | Entwickelt die Bilder, Videos und Memes, die Ihr für die Durchführung der Kampagne benötigt. |
6 | Messenger & Unterstützer*innen | Plant ein Team aus Sprecher*innen und Unterstützer*innen, deren Stimmen für das/die Zielsegment(e) vertrauenswürdig sind. |
7 | Forum/Publikation | Formuliert das Forum oder die Publikation, die Ihr anvisiert, und benutzt diese als Leitlinien für den Ausbau der Kampagnenelemente. |
8 | Aktionsplan | Erstellt einen detaillierten Plan der Aktivitäten, Kommunikationsmittel und Ressourcen, die erforderlich sind, um Euer Publikum so weit einzubinden, dass Eure Ziele erreicht werden. |
In diesem Schritt findet die Hauptarbeit statt, in dem Ihr das Gerüst Eurer Strategie mit Leben füllt. Die acht Elemente beinhalten die Entwicklung der Schlüsselinstrumente, die für eine effektive Narrative-Change-Kampagne mit Reframing-Ansatz erforderlich sind, wobei zusätzlich praktische Planungsaspekte integriert sind. Auch wenn die Elemente in der Tabelle als aufeinander aufbauende Abfolge dargestellt sind, werdet Ihr in der Realität in der Ausbauphase Eurer Kampagne häufig zwischen den verschiedenen Schritten hin- und herwechseln. Diese Vorgehensweise fördert allerdings kreatives Denken über alle Elemente hinweg und trägt zudem dazu bei, die Kohärenz und Konsistenz zwischen den Elementen sicherzustellen.
Leitlinien und Ziele für den Ausbauprozess
Bevor wir diesen Ausbaublock Schritt für Schritt durchgehen, skizzieren wir zunächst fünf Prinzipien oder Ziele, die Euch durch den Prozess der Entwicklung der Kampagnenelemente führen sollen.
Konzentriert Euch darauf, eine zugewandte, engagierte Antwort aus dem/den Zielsegment/en zu erhalten.
In Anlehnung an das Ganz-Modell liegt der Schwerpunkt bei der Erstellung von Narrative-Change-Kampagnen auf der Generierung von Inhalten durch Erzählungen anhand von gelebten Erfahrungen, die Emotionen/Pathos ansprechen. So soll eine warme Stimmung erzeugt werden, die das Publikum leicht fesselt und letztendlich das Herz anspricht. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die von progressiven Kräften häufig verwendet werden, sind diese Kampagnen weder analytisch, noch kognitiv oder kopforientiert.
Beginnt mit Werten: Erzählt Eurem Publikum, warum Eure Botschaft wichtig für dieses ist.
Es wird oft gesagt, Politik sei kalt, Werte hingegen warm. Um eine wohlwollende Reaktion zu erzeugen, solltet Ihr zunächst mit einem Fokus auf die im Strategieschritt identifizierten geteilten/überlappenden Werte beginnen statt mit einer Diskussion der Sachfragen. Um dies weiter zu vertiefen und den erfahrenen Aktivisten Frank Sharry zu zitieren: „Werte vereinen, Sachverhalte entzweien.“ Gemeinsame Werte sind der Weg zum Aufbau einer Beziehung, wohingegen die Details der politischen Expertise, insbesondere auf Laien, abschreckend wirken können1 .
Einfach ausgedrückt: Den Menschen mit einem Werterahmen zu sagen, warum Eure Position und Geschichten wichtig sind, ist zentral, um die Diskussion zu verankern; ihnen die Verbindung zu ihren Ansichten aufzuzeigen bedeutet den ersten Schritt, um Empathie aufzubauen2 . Diese emotionale Verbindung herzustellen ist der Schlüssel zu jedem Reframing-Prozess. Wenn Ihr mit Werten beginnt, könnt Ihr die Erzählung tatsächlich so gestalten, wie Ihr wollt, anstatt auf die vorhandenen Frames anderer zu reagieren3 .
Nutze positive Frames und betonte (wo möglich) Lösungen!
Es ist einfach eine Tatsache, dass der Nachrichtenzyklus und die Forschungsagenda von tiefgehenden Problemanalysen dominiert werden – und in der Tat tendieren Forscher*innen und Aktivist*innen auf der progressiven Seite ebenso dazu, sich auf forensische Details und Problemkomplikationen zu konzentrieren. Infolgedessen, und vielleicht gerade wegen dieser Nachrichtenagenda, neigen viele Menschen dazu, das Ausmaß der Probleme deutlich zu überschätzen, nicht zuletzt im Kontext der Migrationsdebatte4 . Wenn nur Probleme auf dem Tisch liegen, fühlen sich Menschen überfordert – deshalb raten viele Aktivist*innen dazu, positive Frames einzusetzen, nach Möglichkeit mit Lösungsgeschichten zu beginnen und erst dann auf die Probleme zurückzukommen5 . Um den Effekt zu verstärken, ist es besser, sich auf die Schaffung von Positivität und Wärme zu konzentrieren, anstatt bestehende Zweifel und Stress zu betonen. Wie wir jedoch im Rahmen unseres Message-Testings gelernt haben, das wir im Juni 2018 als Teil des Narrative Change Lab durchführten, müsst Ihr in Euren Botschaften die Herausforderungen und Probleme dennoch anerkennen; andernfalls könntet Ihr naiv wirken.
Lasst nicht zu, dass die Opposition die Tagesordnung festlegt: Verneinst Du einen Frame, löst Du ihn auch aus!
Einer der bekanntesten Kommentatoren in der Framing-Debatte ist der Kognitionslinguist George Lakoff, dessen Buch "Don't think of an an Elephant" oft genutzt und zitiert wird6 . Der Titel weist schon darauf hin: Sobald jemand sagt „Denke nicht an einen Elefanten“, kann man nur noch an das Tier denken. Eben jenes Verständnis davon, was Worte in uns auslösen, ist für Lakoff zentral: Einfach ausgedrückt sind die Worte, die wir wählen, nicht nur Vehikel, um objektive Informationen zu übermitteln; wir stellen vielmehr automatisch Assoziationen mit bestimmten Wörtern in unserem Gehirn her. Wenn Ihr also die Sprache der Gegner*innen verwendet (auch durch Negierung), macht Ihr Euch die Arbeit viel schwerer, indem Ihr Euch auf ihr Terrain begebt – einige würden sogar behaupten, dass Ihr ihnen "freie Sendezeit” gebt7 .
So wird in vielen Kampagnen beispielsweise darüber gesprochen, was Migrant*innen und Geflüchtete NICHT sind, z.B. nicht illegal oder nicht fremd oder nicht kriminell. Das berühmteste Beispiel für diesen Fehler war Nixons Aussage während des Watergate-Skandals, als er betonte: „Ich bin kein Verbrecher.“ Ratet mal, welche Botschaft hängen blieb! Ein weiteres Beispiel aus der Migrationsdebatte: Skeptiker*innen neigen dazu, Metaphern und Bilder von Naturkatastrophen/Katastrophen zu verwenden und sprechen immer wieder von Krisen, Tsunamis, Fluten und Wellen. Diese Art von Metaphern und Einstiegspunkten gilt es zu vermeiden. Wir sagen nicht, dass man die Meinungen oder Positionen von Gegner*innen nicht in Frage stellen kann, man sollte sie aber nicht an vorderster Stelle aufführen. Lakoff rät uns, die Meinungen der Gegner*innen zu respektieren und dann die gewünschte Geschichte neu zu formulieren oder zu erzählen, in Eurer eigenen Sprache und anhand Eurer eigenen Werte8 .
Arbeitet daran, das richtige Gleichgewicht zwischen Resonanz und Dissonanz in Kampagnenelementen zu erreichen.
Die meisten Autor*innen und Aktivist*innen sprechen von Frames, die funktionieren, als „kulturell resonant“9 . Wir haben bereits betont, dass eine Herausforderung bei der Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit in der Migrationsdebatte darin besteht, dass Aktivist*innen oft nicht stark genug mit den Geschichten und Anliegen ihrer Zielgruppen verbunden sind. Da Resonanz der Schlüssel ist, sollten alle Kampagnenelemente den Aufbau eines beruhigenden Gefühls als starken Aspekt enthalten. Ganz grundlegend solltet Ihr den sofortigen und automatischen Verlust von Aufmerksamkeit vermeiden, der oft mit einem Mangel an Vertrautheit oder der Herausforderung bestehender Überzeugungen einhergeht10 . Gleichzeitig reichen Vertrautheit und Resonanz nicht aus; es bedarf zudem einer gewissen Dissonanz oder Herausforderung, um neues Denken zu eröffnen.
Resonanz
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Dissonanz
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vertraut |
herausfordernd überraschend unerwartet unbehaglich |
Ein wichtiges Kampagnenprinzip, mit dem wir in unserem Narrative Change Lab experimentiert haben, ist die Ermittlung der richtigen Balance zwischen Resonanz und Dissonanz: Auf der einen Seite sollen die Botschaften, Bilder, Messenger und andere Elemente meist vertraut, beruhigend und vertrauenswürdig sein und den gesunden Menschenverstand ansprechen. Gleichzeitig gilt es aber auch, eine Herausforderung bzw. einen "Dreh" hinzuzufügen, um das Publikum dazu zu bringen, neu zu denken (siehe Tabelle oben). Zunächst soll sich Eure Zielgruppe wohl und mitgenommen fühlen. Dann könnt Ihr ein kleines Element hinzufügen, das zum Nachdenken anregt, bisherige Denkweisen herausfordert – und somit zum Katalysator für ein neues Nachdenken wird. Eine solche Dissonanz schafft eine psychologische Reaktion, in der die Menschen diese neuen Informationen wirklich auflösen müssen. Dieser Prozess kann zu einer Einstellungsänderung führen und damit zu einer Gelegenheit, die Debatte zu verschieben und letztendlich Eure Ziele zu erreichen11 .
Zum Beispiel:
Das Kampagnenvideo [2 Minuten] findet Ihr unter:
Aufgliederung der Elemente von Resonanz und Dissonanz in der Kampagne:
Elemente der Vertrautheit/Resonanz |
#WeAreAllEngland |
Geschichte |
Unterstützung der Nationalmannschaft bei der EM 2016 |
Metapher/Slogan/Hashtag |
Gemeinsam für das Team |
Bilder |
Glückliche Kinder beim Fußballspielen sowie Unterstützer*innen in Bars und bei der Arbeit, die das Team und die Nationalfahne unterstützen |
Werteappell |
Gemeinschaftliche Verbundenheit durch Zusammenkommen zur Unterstützung des Teams, niedrigschwelliger Patriotismus mit einer zugrunde liegenden Botschaft der Inklusion und Integration |
Vertrauenswürdige Quelle (aus Sicht der Mitte) |
Die Geschichte der Kampagne wurde in Boulevardzeitungen wie dem Daily Star positiv aufgenommen. |
Der Punkt der Dissonanz in dieser Kampagne ist eine Herausforderung bezogen auf die Zweifel, ob sich Einwanderer*innen und insbesondere muslimische (auch langfristig bestehende) Gemeinschaften wirklich integrieren. Alle Elemente der Dissonanz stellen dies in Frage.
Elemente der Herausforderung/Dissonanz |
#WeAreAllEngland |
Metaphor/Slogan/Hashtag | Wir ALLE sind England – Wir haben unterschiedliche Hintergründe, stehen aber alle hinter dem Team. |
Bilder |
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- 1Delft University of Technology (2016) Framing: How Politicians Debate. edX online course.
- 2Crompton, T. (2010). Common Cause. The Case for Working with our Cultural Values. UK: WWF-UK. ; FrameWorks Institute (2009) Changing the Public Conversation on Social Problems: A Beginner’s Guide to Strategic Frame Analysis , E-Workshop.; Frameworks Institute (2013) Using Values to Build Public Understanding and Support for Environmental Health Work.; Hope not hate (2017) Going Mainstream: The mainstreaming of anti-Muslim prejudice in Europe and North America.; Waller, R. L., & Conaway, R. N. (2011). Framing and counterframing the issue of corporate social responsibility the communication strategies of nikebiz.com. Journal of Business Communication, 48, 83-106.
- 3Lakoff, George (2014). Don't think of an elephant!: know your values and frame the debate : the essential guide for progressives. 2nd Edition. White River Junction, Vt, Chelsea Green Pub. Co.
- 4Kahneman, Daniel (2011). Thinking, Fast and Slow. New York: Farrar, Straus and Giroux. ; The Guardian (2014) Today’s key fact: you are probably wrong about almost everything. Datablog: Immigration and Asylum
- 5 FrameWorks Institute (2009) - Changing the Public Conversation on Social Problems: A Beginner’s Guide to Strategic Frame Analysis, E-Workshop.; Solutions Journalism Network
- 6Lakoff, George (2014). Don't think of an elephant!: know your values and frame the debate : the essential guide for progressives. 2nd Edition. White River Junction, Vt, Chelsea Green Pub. Co.
- 7Delft University of Technology (2016) Framing: How Politicians Debate. edX online course.
- 8Lakoff, George (2014). Don't think of an elephant!: know your values and frame the debate : the essential guide for progressives. 2nd Edition. White River Junction, Vt, Chelsea Green Pub. Co.
- 9 FrameWorks Institute (2009) - Changing the Public Conversation on Social Problems: A Beginner’s Guide to Strategic Frame Analysis, E-Workshop.; Lakoff, George (2014). Don't think of an elephant!: know your values and frame the debate : the essential guide for progressives. 2nd Edition. White River Junction, Vt, Chelsea Green Pub. Co.; Lewandowsky, S., Ecker, U., Seifert, C. M., Schwarz, N., & Cook, J. (2012). Misinformation and Its Correction: Continued Influence and Successful Debiasing. Psychological Science in the Public Interest, Supplement, 13, 106-131. ; Waller, R. L., & Conaway, R. N. (2011). Framing and counterframing the issue of corporate social responsibility the communication strategies of nikebiz. com. Journal of Business Communication, 48, 83-106.
- 10Kahneman, Daniel (2011). Thinking, Fast and Slow. New York: Farrar, Straus and Giroux.
- 11Cognitive dissonance refers to a situation involving conflicting attitudes, beliefs or behaviours. This produces a feeling of discomfort leading to an alteration in one of the attitudes, beliefs or behaviours to reduce the discomfort and restore balance.” Simplpsychology.org