Kapitel 7. Takeaways und Aufruf zum Handeln
Wir haben das RESET-Projekt in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der CLAIM Allianz entwickelt, da wir sowohl die Herausforderung erkannt haben, die zunehmende islamfeindliche Haltung in der Gesellschaft zu bekämpfen, als auch das Potenzial von Narrative Change als Reaktion darauf zu nutzen. Daher wurde das #KommMit Narrative Change-Pilotprojekt als empirisch belegte Grundlage und Katalysator für breitere Maßnahmen zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und insbesondere zur Veränderung der Diskussion über Muslim*innen und den Islam in Deutschland entwickelt. Der erste Schritt bestand darin, zu testen und zu beweisen, dass der wertebasierte Ansatz funktionieren und ein nützliches Advocacy-Instrument für CLAIM-Mitglieder sein kann, indem er die Einstellungen derjenigen in der beweglichen Mitte positiv verändert. Wie in der Toolbox beschrieben, hat das #KommMit-Pilotprojekt bewiesen, dass dies der Fall ist. Zweitens: Aufbauend auf diesem Erfolg können die Mitglieder von CLAIM und anderen Netzwerken die #KommMit-Strategie übernehmen oder anpassen und damit beginnen, eine breit angelegte Präsenz der neuen Narrative in dem Umfang aufzubauen, der erforderlich ist, um das „Wetter" in der öffentlichen Debatte zu verändern.
In Anbetracht der Tatsache, dass islamfeindliche Einstellungen auch im Jahr 20241 noch eine große Herausforderung darstellen, stellen wir dieses Kapitel als Aufruf zum Handeln dar, indem wir im Einzelnen Folgendes darlegen:
- Die Schlüssel-Takeaways aus dem Pilotprojekt
- Wie Interessierte die Erkenntnisse aus dem #KommMit-Pilotprojekt übernehmen oder anpassen können.
7.1 Schlüssel-Takeaways aus dem #KommMit-Pilotprojekt
Die Ergebnisse des #KommMit-Projektes übertrafen bei weitem unsere Ziele und Benchmarks für solche CSO Narrative Change-Kampagnen, die auf die bewegliche Mitte in Deutschland abzielen. Darüber hinaus war der Prozess von der Strategieentwicklung über das Storytelling bis hin zum digitalen Kampagnenmachen und der Evaluierung der umfassendste, den wir in einem Jahrzehnt dieser Arbeit gesteuert haben. Wir hoffen, dass die dokumentierten Lehren aus diesem empirisch bewiesenen Pilotprojekt die nötige Motivation für CSOs liefern werden, die mittlere Gruppen ansprechen wollen, um Islamophobie zu bekämpfen und eine Agenda für den gesellschaftlichen Zusammenhalt voranzutreiben.
Aus den vielen Dimensionen und Phasen des Pilotprojektes, die in dieser Toolbox beschrieben werden, sollen die folgenden Kern-Takeaways CSOs ermutigen, ihre eigene Narrative Change-Arbeit mit der #KommMit-Toolbox zu beginnen:
1. Wertebasiertes Messaging und Storytelling öffnen die Tür zur mittleren Zielgruppe der „Etablierten"
Selbst in den schwierigen Zeiten, in denen wir leben, mit der zunehmenden Polarisierung in den Debatten über Migration, Muslim*innen und den Islam2 , beweist das #KommMit-Pilotprojekt, dass ein wertebasierter Ansatz den Raum für eine konstruktive, auf gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgerichtete Debatte mit einem Schlüsselsegment der Bevölkerung, den „Etablierten", öffnen kann. Da es sich bei ihnen um eine ältere Gruppe von Eltern und Großeltern handelt, die in ihren Communities sehr gut vernetzt und engagiert sind, kann ihre Meinung zu diesen Anliegen bei der lokalen Entscheidungsfindung und beim Agenda-Setting sehr wichtig sein. Sie auf Deiner Seite zu haben, könnte ausschlaggebend dafür sein, dass Dein Anliegen in der Gemeinde Unterstützung findet, was sie zu einer wichtigen Zielgruppe für Narrative Change macht. Es würde sich auch lohnen, mit dem #KommMit-Messaging zu experimentieren und Erkenntnisse mit anderen mittleren Segmenten zu sammeln, die den „Etablierten" nahestehen, wie z. B. „Die Involvierten" und „Die Abgehängten"3 .
2. Das #KommMit-Pilotprojekt war kosteneffizient, was das Erreichen und Einbinden der „Etablierten" betrifft, und daher ist das „Überfluten der Zone" (flooding-the-zone) mit positiven Stories eine praktikable Option.
Durch die Fokusgruppen, die wir als Teil des #KommMit-Strategieentwicklungsprozesses durchgeführt haben, wurde deutlich, dass trotz der Offenheit in den beweglichen mittleren Gruppen einige starke negative Assoziationen bestehen, die in Frage gestellt werden müssen, z. B. die automatische Annahme, dass Muslim*in zu sein gleichbedeutend mit Ausländer*in zu sein ist, und der Glaube, dass positive Stories über das Leben von Muslim*innen in Deutschland eher Ausnahmen als alltäglich sind. Durch die Einbettung der #KommMit-Strategie in ein langfristiges strategisches Kommunikationsziel strebt #KommMit mit der Zeit an, die kontinuierliche Präsenz von Stories wie denen im Pilotprojekt so weit auszubauen, dass diese Annahmen von den Menschen in den mittleren Segmenten in Frage gestellt und schließlich widerlegt werden. Dies würde eine beträchtliche längerfristige Investition erfordern, aber das Pilotprojekt beweist, dass es effektiv und zu relativ geringen Kosten durchgeführt werden kann. Daher ist eine so genannte „Flooding-the-zone"-Strategie, bei der solche positiven Stories in großem Umfang an mittlere Zielgruppen weitergegeben werden, eine realistische Option und kann einen bedeutenden Beitrag zu wichtigen Veränderungen leisten.
3. Nachgewiesene kurzfristige Einstellungsänderungen sind die Grundlage für längerfristige nachhaltige Veränderungen
Die Frage, die uns bei Kampagnen zum Narrative Change immer wieder gestellt wird, ist, wie lange der positive Einstellungswandel bei einer Gruppe, die als „beweglich" bezeichnet wird, anhält, und die realistische Erwartung ist, dass er über den folgenden Medienzyklus hinweg anhält. Letztendlich muss aber, wie bereits vorgeschlagen, das strategische Kommunikationsziel der Präsenz das Ziel sein, damit das kontinuierliche Teilen solcher Botschaften und Stories für die Zielgruppen in dieser Debatte zum „Surround Sound" wird, und diese Stories dann langsam aber sicher zur Norm werden4 . Dies kann nur in großem Maßstab und durch die Einbeziehung einer Bewegungsperspektive geschehen. Daher ermutigen wir alle interessierten CSOs, die Initiatoren dieses positiven Schritts nach vorn zu sein, um das - bisher ungenutzte - Potenzial der beweglichen Mitte zu nutzen.
7.2 Übernahme oder Anpassung der #KommMit-Strategie & Lektionen
Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung für alle, und verschiedene CSOs haben unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse, Kontexte und Kompetenzen; daher ist die Toolbox so konzipiert, dass sie flexibel eingesetzt werden kann. Auf einer allgemeineren Ebene bietet diese Toolbox Einblicke in das A bis Z des Narrative Change-Prozesses im #KommMit-Pilotprojekt: Detaillierte und umfassende Schritte, Erläuterungen, Materialien, Methoden und Werkzeuge, die im Projekt verwendet wurden, von der Strategieentwicklung über das Storytelling bis hin zur Evaluation. In der gesamten Ressource finden sich Checklisten, die Dir helfen, über Deine aktuelle Advocacy-Arbeit nachzudenken und Deine eigene Narrative Change-Arbeit zu planen. Wir stellen all dies zur Verfügung, damit interessierte CSOs eine solide, empirisch getestete Grundlage haben, auf der sie ihre eigene Narrative Change-Arbeit aufbauen können. Konkret schlagen wir vor, die empirisch getestete #KommMit-Pilot-Strategie zu übernehmen oder anzupassen, und in den folgenden Abschnitten findest Du Anleitungen und Ideen für jede dieser Strategien.
7.2.1 Wie man die Strategie und den Ansatz von #KommMit umsetzt
Es gibt verschiedene Ebenen und Wege, die #KommMit-Strategie zu übernehmen, je nach Deinen Advocacy-Zielen und verfügbaren Ressourcen (insbesondere Kompetenzen, Zeit und finanziellen Mitteln):
- Wiederhole und repliziere das #KommMit-Projekt in den sozialen Medien, das sich an das Segment der „Etablierten" richtet, unter Verwendung der bestehenden Strategie und Materialien - Stories der bestehenden Protagonisten, Social-Media Copy und Hashtags, Logo/Branding, Webseite.
- Entwickele Deine eigenen Stories mit Hilfe des wertebasierten #KommMit-Storytelling-Ansatzes und der in Kapitel 5 beschriebenen Methoden, z. B. rekrutiere neue Protagonist*innen aus dem Handwerk und passe die am besten funktionierenden Storyboards an, um Stories zu entwickeln, die für Deine lokale Community relevant sind.
- Integriere die bewährten und erprobten drei Topline-Narrative zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, die in Kapitel 4 beschrieben werden, in Deine Advocacy-Arbeit und nutze Abschnitt 4.3.3 für Ideen und Anleitungen in der Liste „Was zu tun ist".
- Erweitere das #KommMit-Pilotprojekt und „flood the zone" mit den bestehenden Stories der Protagonisten und den Stories neuer Protagonist*innen, die Du selbst entwickelst.
Deutsche CSOs, die daran interessiert sind, die #KommMit-Strategie zu übernehmen und z. B. ihre lokalen Stories auf der bestehenden Webseite zu veröffentlichen, sollten sich mit dem Team der Narrative Change-Spezialist*innen in Verbindung setzen, die das Pilotprojekt geleitet haben (siehe Kapitel 8).
7.2.2 Wie man die Strategie und der Ansatz von #KommMit anpasst
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, das #KommMit-Pilotprojekt anzupassen:
- Erstelle Deine eigene Kampagne unter Verwendung der empirisch getesteten Narrative-Strategie (Zielgruppe, Werteappell, Topline-Narrative) und der Schritte im Prozess, aber gehe in eine andere Richtung (z. B. entwickle einen neuen und anderen Kampagnen-Pitch) und/oder rekrutiere und stelle andere Protagonistengruppen vor (z. B. jenseits von Handwerkern).
- Professionalisiere Deine eigene Kampagnenarbeit, indem Du bestimmte Aspekte des Pilotprojektes übernimmst oder anwendest, z. B. die Segmentierungsforschung, das Testen, die Social-Media- oder Storytelling-Ansätze.
- Übernimm den getesteten narrativen Ansatz als Möglichkeit, mittlere Zielgruppen auf andere Art und Weise als durch Kampagnen anzusprechen, z.B. im Rahmen eines Projekts zum Engagement in der Gemeinde.
Deutsche CSOs, die an einer Unterstützung bei der Anpassung des #KommMit Narrative Change-Pilotprojektes interessiert sind, sollten sich mit dem Team der zertifizierten Narrative Change-Spezialist*innen in Verbindung setzen, die dieses Pilotprojekt geleitet haben und bereit sind, Euch zu helfen (siehe Kapitel 8 für Details).
Abschließend hoffen wir, dass die Arbeit und die Investitionen vieler, die in dieser Toolbox dokumentiert sind, ein Sprungbrett sind, um die ersten fünf Schritte in die richtige Richtung zu machen, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt in naher Zukunft Realität wird. Die Absicht dieser Toolbox ist es, eines der scheinbar hartnäckigsten Probleme unserer Zeit in Angriff zu nehmen und eine erprobte Methodik zu finden, mit der die Kraft der Bewegung gestärkt werden kann, um die Kontrolle über das öffentliche Narrativ zurückzugewinnen und sich von den derzeit vorherrschenden Nullsummen-Narrativen zu entfernen. Ein solcher Narrative Change-Ansatz kann uns helfen, uns auf eine Zukunft zuzubewegen, in der Dissens die Grundlage für zivile und konstruktive Diskussionen und eine solidarische gemeinsame Zukunft ist, in der alle Menschen geschützt und geschätzt werden und ein glückliches Leben in gerechten Gemeinschaften führen können.
<-- Kapitel 6-2 | Toolbox homepage -->
- 1CLAIM Allianz (2024) Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus: ANTIMUSLIMISCHE VORFÄLLE IN DEUTSCHLAND 2023. Ausgabe 2024
- 2More in Common (2023) Zukunft, Demokratie, Miteinander: Was die deutsche Gesellschaft nach einem Jahr Preiskrise umtreibt; Friedrich-Ebert-Stiftung (2023) Die distanzierte Mitte: Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland.
- 3See a short description of the Established and other segments in this debate. ICPA (2021)
Siehe eine kurze Beschreibung der „Etablierten“ und anderer Segmente in dieser Debatte. ICPA (2021) - 4http://www.narrativechange.org/toolkit/what-strategic-communications